Fooddesign, Hygiene und Überwachung

Das Bierkarussell – eine branchenspezifische LIMS-Anwendung

26.02.2024 - Infolge der Globalisierung der Märkte sieht sich die Getränkeindustrie, und insbesondere die Brauereien, vor der Herausforderung, über einen langen Zeitraum Stabilität und Produktqualität garantieren zu müssen.

Beim Produkt Bier stellt neben der mikrobiologischen Stabilität sowie der Schaum- und Trübungsstabilität, vorrangig die Alterungsstabilität, ein wichtiges qualitätsbestimmendes Merkmal dar. Lagerungs- bzw. alterungsbedingte Abweichungen vom charakteristischen Geschmacks- und Aromaprofil eines frischen Bieres werden vom Konsumenten in der Regel nicht akzeptiert und ziehen somit Produktreklamationen nach sich und führen gegebenenfalls zu einem Imageverlust für die Marke. Die rein äußerlichen optisch erkennbaren Merkmale des Bieres – Bierfarbe, Biertrübung, Bierschaum – sind für den Konsumenten wichtige und schnell einzuordnende Qualitätskriterien.


Die hohen Qualitätsansprüche an das Natur- und Frischprodukt Bier und die im Gegenzug manchmal weit zu überbrückenden Distributionswege (im Schnitt liegen in Deutschland etwa 200 km hinter jedem Bier) sowie das umfangreiche Angebot an Biersorten erfordern es, der Sensorik und diesen genannten Qualitätsmerkmalen entsprechend Beachtung zu schenken und diese im Rahmen der routinemäßigen Qualitätssicherungsmaßnahmen zu etablieren.

Das Bierkarussell – rundherum informiert!

Das Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität (BLQ) ist ein Zentralinstitut der Technischen Universität München. Als moderner Forschungsbetrieb und Dienstleister bietet es ein umfangreiches Service­angebot für die Brau- und Getränkeindustrie, insbesondere im Rahmen der nass­chemischen, instrumentellen und mikrobiologischen Analytik und Betriebskontrolle, der sensorischen Beurteilung von Getränken in Verbindung mit umfassender technischer und technologischer Beratung (Abb. 1).

Um diesen hohen Qualitätssicherungsansprüchen an das Produkt Bier gerecht zu werden und den Brauereikunden einen zusätzlichen Mehrwert aus dem bestehenden Datenpool zu generieren, startete das Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität 2004 das Projekt „Bierkarussell“ zur statistischen Auswertung der wesentlichen qualitätsbestimmenden Biermerkmale. Im Rahmen dieses Servicepaketes der BLQ senden jeden Monat ca. 100 Brauereien aus dem In- und Ausland ihre Biersorten zum Forschungszentrum (300 zu prüfende Proben) ein. Die Hauptsorten sind helles Lagerbier (Helles oder Hell), Pils und Weizenbier. Ziel des Projektes ist es, neben der grundlegenden Qualitätssicherungsdaten (beratende Analytik), dem Einsender nützliche Informationen hinsichtlich der aktuellen Qualität, aber auch der Qualitätskonstanz seiner Biere zu liefern. Durch den umfangreichen Datenpool ist zusätzlich ein anonymer Vergleich der Ergebnisse zwischen den Bieren aller Teilnehmer möglich, der Auskunft über die Güte des jeweiligen Bieres im Vergleich zur Grundgesamtheit (Gesamterhebungsumfang bzw. Menge aller Objekte, über die eine Aussage getroffen werden soll) gibt. Dabei liegt der Fokus auf diesen Qualitätsmerkmalen des Bieres, die insbesondere auch vom Kunden als entscheidende Qualitätskriterien wahrgenommen werden:

  • Sensorische Qualität
  • Alterungsstabilität
  • Schaumeigenschaften

Eine Auswertung der Ergebnisse über die letzten 12 Monate zeigt jedem Teilnehmer die Entwicklung eines Qualitätskriteriums eines Bieres über diesen Zeitraum und kann zusätzlich im Vergleich zu den Resultaten aller geprüften Biere eingeordnet werden. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die graphische Auswertung eines Bieres hinsichtlich der Schaumeigenschaften.

Statistische Auswertung – Boxplot-Darstellung

Abbildung 3 erläutert graphisch die Boxplot-Auswertung. Mit Hilfe eines Boxplot kann eine Vielzahl von Informationen über vorhandene Daten grafisch dargestellt werden. Auf diese Weise können unter anderem der Median, der Interquartilsabstand der Range und die Ausreißer abgelesen werden.
Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach der Größe geordnet ist. Der Median (Zentralwert) halbiert die Datenreihe, sodass die eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians in der geordneten Reihe liegt. Die Box an sich gibt den Bereich an, in dem die mittleren 50 % aller Werte liegen. Das untere Ende der Box ist also das erste Quartil und das obere Ende das dritte Quartil. Unter dem ersten Quartil (Q1) liegen 25 % der Daten und über dem dritten Quartil (Q3) liegen 25 % der Daten, in der Box selbst liegen 50 % der Daten.

Exkurs in die Bieranalytik

Im Rahmen der analytischen Kontrolle einer Abfüllcharge (10 Flaschen) werden folgende Analysen durchgeführt:

  • Sensorische Beurteilung des Bieres (DLG-Punkte) – frisch und forciert gealtert (sensorische Analyse nach DLG-5-Punkte-Schema)
  • Alterungsstabilität
  • Schaumkennzahl nach SFT-Foamtester
  • „Kleine“ Bieranalyse (Stammwürzegehalt/Alkoholgehalt/Ausstoßvergärungsgrad nach MEBAK [5])
  • Der Kunde erhält im Anschluss vier Auswerteblätter zu jeweils den entsprechenden Qualitätskriterien:
  • Verkostung Bier frisch, Punkte nach DLG
  • Verkostung Bier forciert gealtert, Punkte nach DLG
  • Alterungsstabilität = Verkostung frisches Bier abzüglich Verkostung gealtertes Bier, Differenz der Punkte nach DLG
  • Schaumzahl gemessen mit SFT-Foamtester

Sensorische Beurteilung (sensorische Analyse DLG-5-Punkte-Schema, Alterungsstabilität)
Die im Rahmen der Sensorik einsetzbaren Verfahren lassen sich in drei Kategorien einteilen: Methoden zur Unterscheidung, Methoden zur Beschreibung und Methoden zur Bevorzugung. Neben der Kontrolle der Rohstoffe und der einzelnen Prozessschritte findet die Sensorik vor allem bei der Endproduktprüfung und Qualitätsüberwachung Anwendung. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Überprüfung der Alterungsstabilität, Produktentwicklung, Produktoptimierung und zur korrekten Beurteilung von Reklamationen [2]. Geeignete sensorische Prüfmethoden sind in den verschiedenen Methodensammlungen wie z. B. der Mitteleuropäischen Brautechnischen Analysenkommission (MEBAK) [5], American Society of Brewing Chemists (ASBC) [6], European Brewery Convention (EBC) [7] sowie dem Deutschen Institut für Normung (DIN) [8,9] u. v. m. beschrieben [2].

Die sensorische Bewertung (Analyse) erfolgt nach MEBAK Sensorik S-590.53.700 [2013-02] DLG-Prüfschema für Bier [10] (www.dlg.org/de). Nach dem DLG-Prüfschema (DLG = Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) für Bier werden die Kriterien Geruch, Reinheit des Geschmacks, Vollmundigkeit, Rezenz und die Qualität der Bittere jeweils mittels einer Skala von 1 bis 5 bewertet (1 = ungenügend und 5 = sehr gut). Eventuell vorhandene Geruchs- und Geschmacksfehler sind zu beschreiben, wobei eine Vielzahl an Möglichkeiten bereits vorgegeben ist. Die Beurteilung der Vollmundigkeit orientiert sich an der Biersorte. Bei der Bewertung der Bittere ist nur deren Qualität, nicht aber deren Intensität ausschlaggebend.

Eine Abweichung zur DLG gibt es hinsichtlich der gealterten Probe. Das Alterungsschema beziehungsweise die Methodik der forcierten Alterung wurde von Lustig und Eichhorn [3, 4] in den 1990er Jahren entwickelt. Dabei wird das Bier einen Tag (24 h) geschüttelt und vier Tage bei 40 °C aufbewahrt („forciert gealtert“). Somit kann das Produkt innerhalb einer knappen Woche gemeinsam mit dem frischen Bier verkostet und sensorisch beurteilt werden. Diese künstliche (forcierte) Alterung entspricht etwa einer drei- bis viermonatigen Alterung bei Zimmertemperatur. Somit ist diese Alterung deutlich „schärfer“ als bei der DLG-Prüfung. Hier ist die „gealterte“ Probe vier Wochen älter (Zimmertemperatur gelagert, keine Forcierung). Ein Vorteil der künstlichen Alterung ist hier jedoch, dass aufgrund der kurzen Verarbeitungszeit, die Biere aus einer Abfüllcharge gegeneinander verkostet werden können.

Aus den beiden Verkostungen (sensorische Analyse frisch gegenüber sensorischer Analyse forciert gealtert) wird rechnerisch durch Differenzbildung die Alterungsstabilität (früher oft als Geschmackstabilität bezeichnet) des Bieres bestimmt. Je größer die Punktedifferenz des frischen Bieres zum gealterten Bier, desto schlechter die Alterungsstabilität des Bieres.

Schaumstabilität

Die Bestimmung der Schaumstabilität erfolgt nach MEBAK [1] B-420.11.100 [2020-10] Schaumbestimmung mit dem Steinfurth-Foamtester. Bei der Bestimmung der Schaumstabilität mit dem Steinfurth-Foamtester SFT wird die Zeit gemessen, in der sich die Schaumkrone in einem Messzylinder absenkt. Der Vorspanndruck ist so gewählt, dass im Gebinde keine Entgasung stattfindet. Durch eine Düse wird das temperierte Bier in den Messzylinder eingespritzt; dabei wird es aufgeschäumt. Die Schaumstabilität wird aus der zeitlichen Abfolge des Durchgangs der Grenzfläche Bier / Schaum an mehreren optischen Sensoren ermittelt. Die Dosierung der vorgegebenen Biermenge, der Gesamtablauf der Analyse inklusive der Ergebnisdarstellung, Reinigung und Konditionierung des Messzylinders erfolgen automatisch.

Auswertung der Daten

Die Auswerteblätter enthalten eine Vielzahl von Informationen, wobei hier exemplarisch die Informationen aus dem Auswerteblatt für das „Verkostungsergebnis frisches Bier“ (sensorische Beurteilung nach DLG-5-Punkte-Schema) erklärt werden. Die jeweils zusätzliche, enthaltene Boxplot-Darstellung wurde bereits am Beispiel Qualitätskriterium Schaum (Abb. 2) dargestellt.
Für die Merkmale sensorische Analyse (Bier frisch bzw. forciert gealtert) sowie Schaum sind hohe Werte positiv, für die Alterungsstabilität dagegen niedrige Werte (nicht dargestellt).  
Aus dem Auswerteblatt „Bewertung frisch“ (s. Abb. 4) ist zu entnehmen, dass die Brauerei mit ihrem Lagerbier bereits 231-mal am Bierkarussell teilgenommen hat. Der dargestellte Teilnahmemonat ist Juli 2023 und die Ergebnisse sind rückwirkend für den Teilnahmezeitraum von 12 Monaten dargestellt.
Aus der ersten Spalte „Mittelwert aller Brauereien“ ist es möglich zu entnehmen, dass der Mittelwert sämtlicher untergäriger eingesendeter Biere im Juli 2022 (ein Jahr zurückliegend) bei der Verkostung eine DLG-Punktezahl (nach DLG-5-Punkte-Schema) von 4,45 ergeben hat. In der zweiten Spalte sind die Ergebnisse des aktuellen, im Juli 2022 von der jeweiligen Brauerei eingesendeten, beurteilten Bieres eingetragen („Ihr Monatswert“ – hier 4,70). Ein Jahr später, im Juli 2023, liegt die Brauerei bei der aktuellen Einsendung bei einer DLG-Punktezahl von 4,40. Der Mittelwert sämtlicher untergäriger eingesendeter Biere lag bei 4,44.

Die dritte Spalte stellt die Differenz zwischen dem Mittelwert aller Brauereien und dem Monatswert (gerundet) dar, somit die „Abweichung“ dieser Brauerei vom Mittelwert aller Brauereien in diesem Merkmal. Die Differenz (DLG-Punkte, Bier frisch) für das Bier dieser Brauerei liegt im Juli 2022 bei einem Wert von 0,25 im gleichen Monat ein Jahr später im Juli 2023 liegt die Differenz bei -0,04. Somit können die Produktqualität selbst (DLG-Punktezahl), aber auch Schwankungen in der Produktqualität langfristig und rückwirkend erfasst werden.

Die Abweichung der Punktezahl (Differenz) sensorische Analyse frisch für diese Bier(Sorte) dieser Brauerei zeigt an, dass diese im Juli 2022 über dem Mittelwert aller Brauereien liegt, das heißt die Produktionskonstanz ist besser als der Durchschnitt. Rückblickend war diese Brauerei mit dieser Biersorte überwiegend besser als der Durchschnitt.  

Da die Differenz zwischen dem Mittelwert aller Brauereien und dem Monatswert über die letzten 12 Monate im Auswerteblatt rückverfolgbar ist (auf Anfrage auch länger), kann eine langfristige Überwachung der Produktionsabläufe erfolgen und somit auch Produktionsschwankungen über einen längeren Zeitraum bewertet werden. Eventuell stehen hinter größeren Differenzen kurze Produktionsspannen, zum Beispiel  in den Sommermonaten, Schwankungen nach baulichen Veränderungen oder Rohstoff- und/oder Verfahrensumstellungen, die daraufhin im Rahmen der Qualitätssicherung gezielter interpretiert und eingeordnet werden können.

Weiterentwicklung und Ausblick

Das Servicepaket „Bierkarussell“ der TUM BLQ bietet die Möglichkeit aus einem umfassenden Datenpool kurz und prägnant die Auswertung von spezifischen Qualitätsmerkmalen darzustellen, die einen Betriebsvergleich ermöglichen und das Qualitätsprofil des eigenen Betriebes mit anderen Mitbewerbern zu vergleichen. Es unterstützt die Verantwortlichen der Qualitätskontrolle bei der Ursachenforschung, wenn Qualitätsmängel auftreten, Schwachstellen frühzeitig und gezielt aufzudecken und hilft in der Folge, die Produkte (Produktqualität) fortlaufend zu verbessern, da auch Veränderungen in der Produktionskette, Rohstoffschwankungen oder Veränderungen in den Distributionswegen langfristig und im Vergleich zur „Branche“ verfolgt werden können.

Zudem wird das Bierkarussell fortwährend weiterentwickelt und den Kundenbedürfnissen angepasst. Zeitnah wird ein gezielter Vergleich der einzelnen Biersorten (derzeit v.a. obergärig, z. B. Weizenbier bzw. untergärig, z. B. Hell / helles Lagerbier oder Pils) möglich sein sowie auch die Aufnahme weiterer Merkmale, wie bspw. der CO2-Gehalt des Bieres oder die Trübung, die ebenfalls für den Verbraucher maßgebende Qualitätskriterien darstellen, etabliert.

Weitere Informationen erhalten Sie unter:
www.blq-weihenstephan.de/produkte.html

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